Die Meute ist los

Ehe man sich das nun folgende, leicht verworrene und nicht immer unfallfreie Geschwurbel durchliest, kann man auch einfach diesen brillianten Artikel lesen. Wenn ich sehr, sehr gut wäre, hätte mein Text so ausgesehen. Bin ich aber nicht, deswegen tut er es nicht.

Da gibt es eine kleine, süße, völlig verdorbene 17-jährige, die einen Roman hinlegt, der Bauklötzchen staunen (und körbeweise Geld scheffeln) lässt. If you read it, you'll shit bricks. Nein, keine Sorge, ich werd's nicht lesen. So ein Literaturkram ist mir viel zu anstrengend. 

Und noch was anderes wäre mir zu anstrengend: Die ganze Zeit darüber nachdenken zu müssen, dass das hier alles von einer (damals) 15 - 17-jährigen erlebt worden sein soll. Na gut, ich gebe es ja zu: Ich war neidisch. Die taz auch. Alle anderen nur begeistert. Fehlt bloß noch "Wir sind Helene".

Doch NUN (hier passt das mal) hat das Leid ein Ende. Irgendein schlauer Mensch hat gemerkt: Die gute Helene Hegemann hat vielleicht etwas weniger gefeiert als vielmehr gelesen. Und sich ganz kräftig inspirieren lassen. Nein, nennen wir es doch beim Namen. Sie hat abgeschrieben. Sie hat geklaut.

Jetzt brennt die Luft. Während ein Teil der Feuilletonisten noch trotzig die Fahne der Neuentdeckung des Jahrhunderts hochhält, gibt es andernorts schon vorsichtige, torkelige Absetzbewegungen. Amüsant ist das, wie die FAZ noch argumentiert, "Sich mehr oder weniger ungeniert bei anderen zu bedienen und das dann Inspiration zu nennen, ist die moderne Form der webbasierten Intertextualität. [...]  die Fragen, die seit dem Wochenende an das Buch und die Autorin gestellt werden, sollten immer auch mit Blick auf die Jugend dieses aufstrebenden Talents diskutiert werden." 

Äh hallo? Lustiger Weise findet man nämlich, wenn man nach "faz hegemann" sucht, auch den Artikel eines Jan Hegemanns. Verwandt werden sie nicht sein, das wäre auch Wurscht. Weniger Wurscht ist der Titel: "Kopierte Inhalte: Schutzlos ausgeliefert im Netz." Da wird nämlich ganz böse geklaut und plagiiert: "Internet-Anbieter übernehmen kurzerhand ganze Artikel aus Presseerzeugnissen und stellen diese den Lesern in Form sogenannter „Rip-Offs“ zur Verfügung, ohne dass auch nur eine Quellenangabe erfolgt." Nun, dieses Verfahren scheint in beide Richtungen zu funktionieren.

Interessant ist, dass der hemmungslos geplünderte Autor Airen (was'n das eigentlich für ein komischer Name?) sein Werk bei einem Underground-Verlag herausgebracht hat, nicht bei einem Schlachtschiff wie Ullstein. (Wobei Hegemann nur beim Blog abgeschrieben haben will, nicht beim Buch. Das kenne sie gar nicht.) Merke: Falls du a) jung und b) bei einem großen Verlag unter Vertrag bist, geht das mit dem Abschreiben schon in Ordnung. Da schauen wir im Feuilleton auch nicht nach. Wir wissen ja auch nicht, wie das so geht, mit dem Interwebz. Wir haben ja keine Ahnung, dass man in den besprochene Nobel-Schuppen "Berghain" mit 16, 17 nie und nimmer kommt. Wir waren halt nur froh, endlich mal wieder jemanden hypen zu können.

Ehrlich zynisch kann man nur den letzten Satz im verlinkten FAZ-Artikel nennen: "Vielleicht ist er [Airen] ja einfach dankbar für die Aufmerksamkeit, die sein Roman jetzt findet." Das wollen bekanntere, dem Totholz stärker verpflichtete Autoren als Argument nämlich nicht gelten lassen. Spannend wäre es wirklich, einmal dieses Argument in der Diskussion zu den Leistungsschutzrechten anzubringen. Wie die Reaktion aussähe, kann ich mir lebhaft vorstellen.

Zu guter letzt ist die Story aber auch Anlass zur Hoffnung. Innerhalb von nur 3 Tagen lief der Eintrag eines eher unbekannten Bloggers durch die etablierten Medienlandschaft (Eben lief es bei Figaro. Und sogar Spargel Online hat es mitbekommen.) Vielleicht wäre es noch schneller gegangen, wäre das Wochenende nicht dazwischen gewesen. Und ich wette, der arme Mann verflucht den heutigen Tag in alle Ewigkeit. Für die Nachzahlung für den gigantischen Traffic muss er wahrscheinlich demnächst im Berghain Drogen verkaufen. Wie man rein kommt weiß er ja.

Update
Ha, Spargel Online geht gleich in die Vollen: "Literatur-Wunderkind schrieb bei Blogger ab". Joah, so geht das mit der Presse. Alles ein großer Fahrstuhl. In dem man nicht selbst die Knöpfe drückt. 

(Bei dem Foto von der Dame fällt mir noch auf: Hat das mit den Sex-Abenteuern wirklich jemand geglaubt?)

Update II
Hui, es meutet mächtig. (Die Dame ist sozusagen jetzt der Meute fette Beute.)
Die Dame ist "nur Untermieter" in ihrem eigenen Kopf. Trotz alledem entschuldigt sie sich dafür.....
Könnte es sein, dass sie einfach nur einen an der Waffel hat ?
Das lustige ist doch, dass dieser Roman und die Autorin ganz bewußt und auch sehr selbstgewußt die klassische Literaturszene anspricht und dort gefeiert wird.
Was dann dort hofiert wird, ist ja gerade die Authentizität, die man in dem Werk zu finden glaubte.
Dass es diese gerade hier nicht gab, sondern eher eine trickreiche Form von Mimikri, stellt einerseits die Suche nach Authentizität bloß, wertet andererseits das Werk ab.

Es ist wiederum nicht schlüssig, sich mit der Internet-Affinität der Autorin herauszureden. Ist sie nun eine Bloggerin oder eine "echte" Autorin?
Ganz praktisch kann ich auch nicht verstehen, wie man auf die Idee kommen kann, in einem solchen autobiografischen Roman von anderen abzuschreiben; egal aus welcher Szene man kommt.
Wie man mit 17 über's Berliner Nachtleben schreiben kann, erschließt sich mir sowieso nicht.
Wieso man von einer 17-Jährigen was übers Berliner Nachtleben lesen will, erscheint mir sogar noch absurder.
An dieser Stelle möchte ich auf meinen Debütroman "LOLCAT WTF O'RLY!?" verweisen, er handelt von Drogen und Diskos und Jugend in Berlin und so.
Ebenfalls machte ein Kommentator auf einen interessanten Sachverhalt aufmerksam. Wie ich oben anmerkte, behauptete der Nachwuchsstar, besagtes Buch nicht gelesen zu haben. Pech, dass ihr Vater ihr dieses Buch gekauft und nach Hause hat schicken lassen. Der Beleg? Es gibt das Buch zwar bei Amazon, aber nur über einen Partner - eben den Verlag von Airen. Und der muss natürlich wissen, wohin er das Buch schicken soll.

Ich schließe mich der Meute jedenfalls mal an.



Update III
Yepp, jetzt ist der Server von der Gefühlskonserve endgültig abgeraucht. Hat ja so kommen müssen.

Update IV
Hach, Journalisten sollten mal recherchieren lernen. Gerade in Figaro: Helene Hegemann habe EINEN GROßTEIL ihres Romans abgeschrieben. Das hat aber überhaupt niemand gesagt. Es geht erstmal um eine Handvoll von Passagen, wie man leicht nachlesen kann. Es ist gut möglich, dass die inkriminierten Teile tatsächlich nur kleine Puzzlestücke in einer größeren Collage sind. Ein guter Teil der Diskussion geht ja darum, dass Hegemann die Stellen nicht als Zitat kenntlich gemach hat.

Der Blogger, der das Ding ins Rollen gebracht hat, Deef Pirmasens, sagt sogar zum Buch:
Ich mag Axolotl Roadkill. Es ist eine Art moderne Beatliteratur, es geht um Sex, Drogen, Traurigkeit und das Chaos des Lebens. Besonders die Beziehung der Protagonistin zu ihrer toten Mutter und die vorkommenden Verlustgefühle beschreibt sie mit starken Worten und wundervoll böse. Das ist schade: Ein lesenswertes Buch bekommt durch die Abschreiberei einen Makel, der vermeidbar gewesen wäre.
Letztes Update
Alter. Die Frau hat ja so richtig abgeschrieben. Von wegen ein paar Stellen.