Die Debatte um Ursula von der Leyens Gesetzentwurf gegen Kinderpornografie im Netz macht eine gesellschaftliche Kluft sichtbar: Die Generation Online will nicht länger akzeptieren, dass über sie hinwegregiert wird. Ein Generationenkonflikt wird sichtbar, der das Land noch Jahre lang spalten könnte.
Eine Gruppe verschafft sich zunehmend Gehör, die bisher niemand an der politischen Spitze auf dem Radar hatte. Es ist immer schwer bis unmöglich, gesellschaftliche Entwicklungen längerfristig vorherzusagen, das ist nicht neu. Soziale Gebilde sind ungeheuer Komplex, der Trend von heute schnell der Irrtum von morgen (was macht Second Life eigentlich?), und die wirklich starken Triebkräfte für eine Änderung sind häufig erst im Nachhinein erkennbar. In Meyers Großem Taschenlexikon von 1995 ist das Internet nicht einmal als Eintrag erwähnt, in der Weite des Netzes scheint sich der Verlag folgerichtig etwas verlaufen zu haben.
Das Establishment in Berlin hätte dennoch genug Zeit gehabt, die Hausaufgaben zu machen. Wir sprechen hier schließlich nicht von Entwicklungen der letzten zehn Wochen, sondern der letzten zehn Jahre. Ein Treppenwitz der Netzgemeinde geht so: Eines schönen Tages schreibt ein Netzaktivist einen offenen Brief an Zensursula. Die per elektronischer Post übermittelte Textbaustein-Antwort überrascht nicht so sehr wie das angehängte Belegmaterial:
Die Antwort enthält eine Anlage: Das Interview mit Ursula von der Leyen im Hamburger Abendblatt. Als PDF. Aber nicht die Seite aus der Zeitung, nein: der leicht schräg eingescannte Ausdruck des Interviews von der Webseite des Bundesfamilienministeriums.
Und wem das nicht reicht, der kann die in Ton und Bild festgehaltene technische Inkompetenz der Entscheidungsträger hier bewundern:
"Die da draußen" und "wir hier drinnen" haben sich entzweit. Wirklich? Irritierend an dieser Wahrnehmung ist die Unterteilung, die hier getroffen wird. Mitnichten wollen sich die Netzbürger als abgeschottete Gruppe verstanden wissen. Solche Stimmen mag es durchaus geben, Trend scheinen sie nicht zu sein. Die Angebote, die WWW, Usenet und dergleichen mehr bieten, sind nicht loszulösen vom "normalen" Leben. Hier hat sich keine Gruppe aufgemacht, dem Rest Lebewohl sagend, um sich in eine geographisch entfernte Region zurückzuziehen. Das Leben mit und im Internet ist selbstverständlicher Teil des Alltags. Allerdings - und das ist entscheidend - für manche mehr, für andere weniger.
Zu wenig, wie sich nun zeigt. Von der digitalen Spaltung scheinen nur die zu sprechen, die nicht verstanden haben, dass sich niemand der Netzaktiven eine solche Spaltung wünscht. Wie eine solche Unterteilung in "die" und "wir " herbeigeredet wird, hat die Zeit exemplarisch vorgemacht: Man schwadroniert vom Internet als rechtsfreier Zone und tut so, als sei es Konsens in Foren, Blogs und Kommentarspalten, man wolle einfach nur in Ruhe gelassen werden.
Wieso hat es fast zwanzig Jahre gedauert, bis öffentlich formuliert wird, was doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist: dass das Netz kein rechtsfreier Raum ist. Dass im Cyberspace dieselben Gesetze gelten wie in der realen Welt.
Ja, das ist tatsächlich eine Selbstverständlichkeit. Die niemand in Frage gestellt hat. Was jedoch angezweifelt wird, ist die Kompetenz bestimmter Politiker und Edelfedern, das Leben im Jahr 2009 noch in all seiner Komplexität einordnen zu können. Die Möglichkeit, das Internet bestehe aus mehr als Kinderpornographie (definitiv Kandidat für das Unwort des Jahres), Bombenbauanleitungen und Partyvideos, scheint im politisch-medialen Establishment nicht vollumfänglich angekommen zu sein.
Bestes Beispiel ist die bluttriefende Nase, die sich Zensursula hat holen müssen. Gründe dafür sind vielfältig. Die zwei wichtigsten scheinen zu sein, dass sich hier zum einen eine große Zahl von Menschen bedroht fühlt von staatlichen Allmachtsphantasien, die offline auch früher niemand akzeptiert hätte. Stichwort: Meine Daten könnt ihr raten. Zum anderen erleichter das Netz Informationsbeschaffung und Austausch ungemein. Vorgebrachte Argumente können ohne Probleme überprüft und Positionen diskutiert werden.
Die Spitzenpolitiker scheinen das alles übersehen zu haben. Mit hanebüchenen Argumenten zieht die Bundesregierung gegen das Internet zu Felde. Der Ausgang der Schlacht ist ungewiss, aber sicher ist: Berlin wird es nicht einfach haben, zumal die Zeit gegen die Schäubleschen Allmachtsphantasien arbeitet. Noch hat es die Generation Internet nicht in die Macht- und Einflusspositionen geschafft. Aber CDU und SPD werden es schwer, sehr schwer haben, Wähler zu überzeugen, die wissen, dass ihnen von diesen Parteien inakzeptable Beschränkungen ihres Alltags drohen. Politiker sind schlussendlich nur so zu überzeugen: Dass sie nicht gewählt werden, wenn sie nicht die Interessen eines substantiellen Teils der Gesellschaft vertreten.
Was wir fordern ist ohnehin nichts Unerhörtes. Sondern eine Selbstverständlichkeit in einer Demokratie. Zusammengefasst hat das übrigens ein Herr, der einer übergroßen Nähe zum Netz gänzlich unverdächtig ist.