Darf man das?

Heute ist zum ersten Mal der Nazi-Marsch am 13. Februar verhindert worden. Und zwar durch zivilen Ungehorsam.

Es ist sicher eine schwierige Abwägung: Darf man sich einem verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden Demonstrationszug blockieren, weil man selbst der Meinung ist, eine solche Veranstaltung dürfe nicht stattfinden? In dem Augenblick erhebt man sich über das Recht (und die Rechtsprecher), blendet es aus, verlangt eine Aussetzung auf Zeit. Man gesteht anderen nicht das Recht zu, welches man für sich selbst beansprucht. Darf man das? Ich war in den letzten Tagen sehr unsicher, wie meine Antwort auf die Frage ausfallen soll. Seit heute bin ich mir sicher: Man darf.

Zwei Gründe dafür: So symbolisch wertvoll die (sehr sehr lange) Menschenkette der "Alternativveranstaltung" auch war. Sie hat den Naziaufmarsch nicht verhindert. Zeichen setzen, gut und schön - aber auf Dauer ineffektiv. Zumal die Dresdner bürgerliche Mitte offensichtlich recht lange gebraucht hat, sich überhaupt gegen den Nazi-Aufmarsch zu engagieren. In dieser Breite war es das erste Mal! Was frustriert die rechte Szene wohl mehr: Eine Menschenkette in mehreren Kilometern Entfernung, oder stundenlanges in-der-Kälte-stehen, weil die Demonstration durch die Blockaden nicht durchgeführt werden kann? Klare Antwort. Diese massive Erfolglosigkeit ist, hoffe ich, ein Meilenstein im Kampf gegen die braune Flut. Und sie ist zuvörderst eben durch die Blockaden bewirkt worden, nicht durch die Menschenkette.

Der zweite Grund: Natürlich schreiben die Organisatoren des "Trauer-Marsches" in den Antrag nichts verfassungsfeindliches. Über die Gesinnung ihrer Anhänge macht man sich jedoch spätestens dann keine Illusionen mehr, wenn man die Truppe einmal gesehen hat. So klar die Situation aus Sicht des Rechts sein mag, so klar erscheint sie mir aus moralischer Sicht. Der Widerstand gegen Faschisten muss sich natürlich der effektivsten Mittel bedienen (wobei auch negative Wirkungen zu berücksichtigen sind).

Schließlich ist es auch eine sehr emotionale Angelegenheit. Es tut einfach weh, diese Leute dort aufmarschieren zu sehen, wo ich mich gern aufhalte. Wo ich erst gestern Abend entlanggegangen bin. In meiner Stadt. In der viele Menschen leben, die die Dinge ebenso sehen wie ich. Es wäre unverständlich, das Engagement dieser Menschen als moralisch falsch zu verurteilen. Zu kritisieren, dass sie sich eben der effektivsten Mittel bedienen, um auch in Bezug auf die Nazi-Demonstrationen ein NIE WIEDER durchzusetzen.

Sagen wir es so: Ich bin ganz sicher, Victor Klemperer hätte gleich neben Sebastian Haffner in der Sitzblockade gesessen. Und, auch wenn es im Wortsinn nicht ganz korrekt sein kann: Ich bin stolz auf meine Stadt.

Update
Die Presseberichte trudeln ja so langsam rein. Den Vogel abgeschossen hat mal wieder die Welt:
Trotzdem haben sich etwa 1000 Leute der „Antifa“ zu einer Kundgebung auf dem Alberti-Platz versammelt. Fahnen der MLPD und der „Antifaschistischen Aktion“, im merkwürdigen Gegensatz dazu Nenas „99 Luftballons“ vom Lautsprecherwagen. Es sind größtenteils freundliche Kindergesichter, aber man ahnt, hier könnte es später unangenehm werden.
Wäre eigentlich auch was für die Kategorie Un-Fass-Bar. Der Platz heißt "Albert-Platz", es dürften eher 2000 Menschen gewesen sein, und das waren zum ganz überwiegenden Teil Personen, die mit der Antifa rein gar nichts zu tun haben. Aber in Alan Poseners Weltbild gibt es wohl nur eine zulässige Form des Protests, die bürgerliche nämlich. Alles andere ist linksextrem.

Update II
Mittlerweile ist das Stimmungsbild einigermaßen klar:
  1. Der Marsch wurde verhindert.
  2. Es gab eine ganz lange Menschenkette
  3. Es gab Ausschreitungen und brennende Barrikaden.
  4. Der Marsch wurde durch linke Gegendemonstranten verhindert.
Ich zitiere mal kurz die Nazis selbst. (Der zweite Absatz ist natürlich etwas diskussionwürdig, aber insgesamt ist die Aussage doch recht spannend.)
Die medialen Jubelarien blenden wir diesbezüglich mal aus. Nicht weil wir sie nicht hören können oder wollen, sondern weil sie inhaltslos sind und zum eigentlichen Geschehen nicht s beitragen. Wen, der etwa 8.000 Nationalisten die heute in Dresden waren, juckt schon die Menschenkette gegen Rechts – bei der BILD übrigens 10.000 Menschen gesehen haben will -, der üblichen Backpfeifengesichter aus Parteien, Gewerkschaft, Kirche etc.? Sie haben schließlich keinen Verdienst daran, dass die Veranstaltung der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschlands schließlich nicht stattgefunden hat. (...)
Wenn etwas den Marsch blockiert hat, dann lediglich die Polizei die den linksextremen Pöbel zum Vorwand genommen hat um den Notstand auszurufen. Im Grunde ist es dabei völlig egal ob da nun ein paar hundert oder unsretwegen auch ein paar tausend Linke blockiert haben. Es kommt nicht darauf an wie viele blockieren, sondern nur darauf, wer an der Blockade teilnimmt. Im herkömmlichen Sprachgebrauch nennt sich so was auch Kumpanei zwischen Staat und Antifa, die es ja aber bekanntlich nicht gibt – zumindest nicht offiziell.
 Update III
Die Blog- und sonstigen Webbeiträge der Nazis sind spannend. Wirklich. In der rechten Szene gibt es z.B. eine wohl recht große Diskussion darüber, wie in Dresden überhaupt vorgegangen werden soll (besser: sollte). Gesamtrechts meint etwa:
Wenn es in den Kommentarspalten von ALTERMEDIA nur so von begeisterten Aufrufen zum Thema Zecken klatschen wimmelt, dann fehlt mir jedes Verständnis für diesen Narrenzirkus, der das Fanal Dresden tatsächlich nur als Freizeitveranstaltung missbraucht.
Ein Kommentar von Altermedia lässt aber keinen Zweifel daran, dass man die Richtung nicht aus dem Blick verlieren wird vor lauter Trauer. (Text leicht korrigiert. Rechtschreibung ist keine spezifische Stärke des Nationalen Widerstands.)
Was schreiben hier für Leute eigentlich? Ihr seid doch fast alle nur Freizeit-Nazis. Ihr geht nur auf eine Demo im Jahr und das ist Dresden. (...) Dies wird ein Gedenkmarsch und keine Revolutionsschlacht. Wenn alle reif genug sind können wir eine Revolution starten und dann werden nur die wahren Deutschen überleben. Also schult euch. Das Hauptthema bei euch soll Anstand und Respekt gegenüber unseren toten Kameraden (sein). (...)