Die Phantomlücke

Entlohnung ist ein Dauerbrenner in der Diskussion um (Un-)Gleichbehandlung von Frau und Mann. Besonders eine EU-Untersuchung vom Juni 2007 ist im Gedächtnis geblieben. In der medialen Öffentlichkeit blieb vor allem eine Zahl hängen: Frauen verdienen 22% weniger als Männer.
"In Deutschland liegt der durchschnittliche Stundenlohn von Frauen um rund 22 Prozent unter dem der Männer. Damit gehört Deutschland zu den Staaten mit der größten Ungleichheit bei der Bezahlung von Männern und Frauen", so der EU-Sozialkommissar Spidla.
Die Zahl an sich ist nicht falsch, aber grob irreführend: Die Aggregation sehr inhomogener Gruppen kann bei der Durchschnittsbildung zu verzerrten Ergebnissen führen. Genau das ist hier der Fall. Häufig wird diese Aussage nämlich dahingehend interpretiert, dass Frauen und Männer für die gleiche Leistung zumindest X % weniger erhalten, und zwar aufgrund von Diskriminierung. Das gibt die oben genannte Zahl aber nicht her. Man muss vielmehr sowohl ökonomische als auch soziologische Ansätze kombinieren. Es sind also sowohl solche Faktoren relevant, die eine geringere Entlohnung leistungsbasiert rechtfertigen, als diejenigen, die Ausdruck der gesellschaftlichen Realität sind (etwa Rollenbilder). Solche soziologischen Faktoren sind sehr wohl wirksam. Der Telegraph formuliert deshalb etwas zu assertativ: The gender pay gap does not exist. Demnach sei nicht das Geschlecht per se der entscheidende Faktor, sondern dass eben Frauen Kinder bekommen, nicht Männer. Fakt ist jedoch, dass soziologische Faktoren sehr viel weniger der Einkommensunterschiede aufklären können, als die übliche Berichterstattung vermuten lässt. Was der erwähnte Herr Spidla nämlich auch gesagt hat: "Direkte Lohndiskriminierung’, also ungleicher Lohn für gleiche Arbeit, sei in der EU fast ganz verschwunden."

In der Debatte wird von Skeptikern häufig angeführt, dass es jeder betriebswirtschaftlichen Logik widerspräche, würden nicht die Personen eingestellt, die bei gleicher Leistung viel niedriger entlohnt würden. Auch wenn man hier einige Gegenargumente finden kann, habe ich noch keine grundsätzlich sinnvolle Erwiderung darauf gehört. (Das heißt nicht, dass ich das Argument für unbedingt richtig halte. Es ist aber erst einmal sehr plausibel und bedürfte unbedingt der Widerlegung, will man die Behauptung von der Diskriminierung aufrechterhalten.) Es ist ganz sicher keine Frage, dass Frauen im Mittel weniger verdienen als Männer. Die Frage ist jedoch, auf welche Untergruppen das zutrifft, und wie es begründet werden kann. Geschlecht kovariiert eben mit einigen anderen Eigenschaften, und diese müssen getrennt ausgewertet werden.

Leider scheinen das viele Journalisten nicht zu verstehen. Es ist absolut notwendig, dass über unterschiedliche Bezahlung berichtet wird. Jedoch bedarf es unbedingt der korrekten Interpretation der gelieferten Zahlen. Hier hat sich einmal mehr SPON unrühmlich hervorgetan: Akademiker-Gehälter: "Frauen hinken hinterher". Die Metapher vom Hinken impliziert eine Behinderung, die die Betroffenen nicht selbst beheben können und die sie daran hindert, ihr volles Potenzial zu entfalten. Als Ursache für diese Behinderung dürfen wir die strukturelle Benachteilung der Frau ihm Rahmen des Patriarchats vermuten. Es sind demnach gesellschaftliche Strukturen, die etwa durch Gesetze und Verordnungen verändert werden müssen. Der Einzelne hat in diesem Rahmen nur wenig Möglichkeiten, durch sein Handeln die gesellschaftliche Wirklichkeit zu gestalten.

Konkret besteht die Ungleichheit bei der Entlohnung von Männern und Frauen darin, dass Akademikerinnen etwa 5 Jahre nach Berufseinheit deutlich weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Im Interview sagt die Berliner Soziologin Kathrin Leuze zwar, genauere Ursachen für diese Ungleichheit müssten noch erforscht werden, hat aber gleich ein paar Erklärungen parat:
(...) schwerer wiegt, dass es Abiturientinnen häufiger in Studienfächer wie Sozial-, Erziehungs- und Pflegewissenschaften drängt - und damit in fürsorgende Jobs. Die erinnern aber an die unentgeltlich geleistete Arbeit in Familie und Haushalt und gelten daher als weniger entlohnenswert.
Weibliche Akademikerinnen in technischen Berufen würden nicht nur geringer entlohnt, sondern hätten zudem noch viel größere Schwierigkeiten bei der Jobsuche.

Vorab: Es ist keineswegs auszuschließen, dass Frauen allein aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden. Vieles spricht dafür. (Dass es sich bei Männern nicht viel anders verhält, soll hier nicht Thema sein.) Jedoch eine solche angenommene Benachteiligung als Ursache zu implizieren, ist erstens tautologisch und zweitens voreilig. Tautologisch ist sie deswegen, weil es in der Definition von Diskriminierung liegt, dass Personen aufgrund Geschlecht, Religion, ethnischer Zugehörigkeit etc. anders behandelt werden als Angehörige der Mehrheit. Dazu würde eine geringere Entlohnung offensichtlich zählen. Voreilig ist die Behauptung deswegen, weil die Ursachen ja eben keineswegs so bekannt sind, wie das häufig scheint.

Als Alternativursache kommt insbesondere das Engagement bei der Arbeit in Frage, in Form von freiwilliger Mehrarbeit und Übernahme schwieriger Aufgaben. Ich glaube ganz sicher nicht, dass Frauen dazu nicht in der Lage sind. Das Potential dürfte über die Geschlechter sehr gleich verteilt sein. Ich halte es aber für sehr wahrscheinlich, dass Frauen seltener das leisten wollen, was ihre männlichen Kollegen leisten, weil sie den damit verbundenen Mehraufwand scheuen. Wieder: Das ist keine abwertende Beurteilung, sondern ein von mir vermuteter empirischer Sachverhalt. Den kann man bestätigen oder widerlegen.

Anscheinend stehe ich mit meiner abweichenden Einschätzung der Sachlage nicht ganz alleine da.
In der Foren-Diskussion zum Artikel ging es recht schnell heiß her. Jetzt werden diese Lügenmärchen auch noch hier weiter verbreitet! Sysop, ist Ihnen langweilig? Das ist nicht die Art, in der die Debatte meiner Meinung nach geführt werden sollte. Ich glaube jedoch, dieses Beispiel weist darauf hin, dass viele Männer nicht das Gefühl haben, hier würde eine faire Diskussion geführt, die alle Positionen gleichermaßen berücksichtigt. Meine Befürchtung: Wenn die großen Medien das nicht hinbekommen, landen abweichende Argumentationen in einem politischen Bereich, wo sie sofort mit sachfremden ideologischen Inhalten vermischt werden. Konkret denke ich an die Junge Freiheit oder Politically Incorrect.

Natürlich meldeten sich auch mehrere Frauen zu Wort. Sie waren keineswegs alle der Meinung, dass eine solche Diskriminierung existiert. Einige berichteten jedoch von konkreten Beispielen, die eine solche Behauptung unterstützen:
Jungs, ihr könnt soviel Studien zitieren wie ihr wollt, aber ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass Frauen weniger verdienen.
Auch in einem großen Betrieb mit IG Metall Tarif kommt das vor. Schließlich gibt es Gehaltsbänder ... Als letztes Jahr auf ERA umgestellt wurde, habe ich festgestellt, dass der größte Teil meiner männlichen Kollegen ca 500€ über unserer neuen Gruppe lag, bei mir waren es 30€ ;-(
Entlohungsunterschiede sagen viel aus über gesellschaftliche Zustände. Keineswegs wird eine Bezahlung aus dem geschaffenen Mehrwert hergeleitet, denn diesen kann überhaupt niemand messen. Insofern ist eine solche Debatte hochrelevant. Aber wenn sie nicht mit Sachkenntnis und unter Zuhilfenahme aller verfügbaren Informationen geführt wird, ist das unwissenschaftlich und gefährlich.