The Wire

Na toll. Da habe ich die letzten 3 Tage wirklich damit verbracht, mir die 5 Staffeln von The Wire anzusehen. Aber das war es wert. Es handelt sich schließlich um die beste Serie der Welt. Sagt Metacritic. Weil es stimmt.

Normalerweise finde ich Serien nach einer kurzen Zeit recht langweilig. Der Plot wiederholt sich, man sieht die Entwicklungen meilenweit voraus. Die Charaktere sind schnell farblos, facettenarm. Die Themen drehen sich um das immer gleiche, die Witze sind fad. Bei The Wire ist alles anders.

Baltimore ist die größte Stadt in Maryland. Etwa eine Stunde fährt man nach Washington, zwei nach Philadelphia. Groß ist vor allem die Vergangenheit der Stadt. Edgar Allen Poe wohnte hier. Ihre Städtepartnerschaft mit Bremerhaven kommt nicht von ungefähr. Außer in New York betraten in keiner anderen US-Stadt mehr Emigranten zum ersten Mal God's Own Country. 1950 wohnten stolze 950,000 Einwohner an der Chesapeake Bay. Der Hafen und die Schwerindustrie bildeten das wirtschaftliche Rückrat. Heute sind es gerade noch 640,00, und es werden jährlich weniger. Was Detroit im Nordosten ist, stellt Baltimore an der Atlantikküste dar: Den amerikanischen Albtraum vom Niedergang der großen Städte.

Was ist passiert? Stadtverfall nennt Wiki das. Es begann wohl mit der weißen Mittelschicht, die aus der Stadt in den Speckgürtel zog, White Flight genannt. Einer der Gründe war die Rassentrennung, ein anderer die Anbindung der Vorstädte an ein Autobahnnetz und die allgemeine Verfügbarkeit des Automobils. Es blieben die Armen, die Schwachen, die Alten, kurz: Die Minderheiten. Der Stadt, in der die reichen Vorstädter ihr Geld verdienten, brach schnell die Steuerbasis weg. Und eine Stadt, die kein Geld für Infrastruktur ausgeben kann, ist schneller tot als Soziologen einen Artikel darüber schreiben können. Kein Geld für Öffentlichen Nahverkehr, kein Geld für Schulen, kein Geld für Polizei.

Dazu muss man vor allem wissen, dass Schulen und Polizei in den USA kommunal organisiert werden. Natürlich gibt es Zuschüsse von den Bundesstaaten und der Bundesregierung. Aber aufgrund der künstlichen Einschränkung der Einnahmen, besonders unter Reagan, trocknete auch dieser Geldstrom aus.

Viele amerikanische Innenstädte sehen furchterregend aus. Drogenhandel an den Ecken. Ganze Viertel von Abbruchhäusern. Ganze Zeltstädte von Obdachlosen. Machtlose Schulen, machtlose Polizei. Das ist die Welt, in der The Wire spielt. Was diese Serie so besonders macht, ist die Wut, die Leitenschaft, mit der sie all das darstellt, was schief gelaufen ist und schief läuft in den amerikanischen Städten. Sie liebt Baltimore wirklich. Häufig erwischt man sich selbst bei dem Gedanken: Wie schön könnte es hier sein? Und wie grausam ist die Realität?

Mittelpunkt von The Wire ist eine Einheit, die die großen Drogenbosse durch Abhöraktionen erwischen will - daher der Name. Doch das wird fast unmöglich gemacht durch Geldmangel, politische Intrigen und die Intelligenz ihrer Gegner. Die Drogenhändler sind in erster Linie pragmatische Unternehmer. Zuerst kommt das Business. Sie sind brilliante Kapitalisten. Der einzige Unterschied zu legalen Unternehmen ist, dass sie ihr Produkt unter etwas ungünstigen Bedingungen an den Junkie bringen müssen. Und ist erstmal genügend Geld zusammengekommen, versuchen einige der Bosse, in den legalen Sektor (vor allem Immobilien) zu kommen. Dabei helfen Drogenanwälte sehr gerne. Es ist soviel Geld im Spiel, dass für jeden etwas abfällt. Wer auch immer sich durchsetzen kann, wird im Handumdrehen reich. Sehr reich.

Allein die Darstellung dieses ökonomischen Kreislaufes ist so brilliant, dass es dem Zuschauer den Atem verschlägt. Endlich versteht man, warum der Krieg gegen Drogen nicht funktionieren kann. Werden Drogen beschlagnahmt, steigt einfach nur der Preis - was wiederum den Anreiz erhöht, weiter Drogen zu verkaufen. Einfachstes Wirtschaftswissen. Und deswegen: Um Gottes Willen, legalisiert endlich Drogen.

Von einem einzelnen zu erwarten, aus dieser Gesellschaft auszubrechen, ist lächerlich. Wohin sollte er? Ohne Schulabschluss, ohne Familie, in Unkenntnis der Sitten der "normalen" (also unserer) Welt. In einer Szene sieht man einen 15, 16-jährigen, der rauswill. Er liest die Stellenanzeigen. Angebote gibt es nur für Leute mit guter Ausbildung. Die einfachen Jobs, die Gelegenheitsarbeiten, die sind schon lange verschwunden. Wovon soll er also leben?

Vielleicht die beste Staffel ist die vierte. Darin geht es schwerpunktmäßig um eine Middle School (6. - 8. Klasse). Die Lehrplaninhalte sind lächerlich für Jugendliche, die täglich um's Überleben kämpfen. Wozu sollen sie griechische Tragödigen lernen? Ihr Mathelehrer kann sie aber schnell für Wahrscheinlichkeitsrechnung begeistern: Damit kann man nämlich beim Würfeln gewinnen. Zu viel mehr reicht es aber nicht. Kein Wunder, denn die Schüler müssen nach Schulschluss ja noch arbeiten: Sie stehen an den Drogenecken und verkaufen. Oder bewachen den Ort. Oder halten Ausschau nach der Polizei.

Leider war die Serie kommerziell nicht besonders erfolgreich. Gerade wegen der Komplexität muss man die meisten Folgen gesehen haben. Entwicklungen werden bisweilen nur angedeutet und das Personal ist umfangreich. Daher wurde The Wire nach fünf Staffeln eingestellt. Schrecklich. Aber nicht so schrecklich wie der amerikanische Albtraum.



Übrigens: Der Autor der Serie, ein ehemaliger Polizeireporter der Baltimore Sun, glaubt nicht, dass sich irgendetwas ändern wird. In einem Interview sagt er:
The next time the drug czar or Ashcroft or any of these guys stands up and declares, "With a little fine-tuning, with a few more prison cells, and a few more lawyers, a few more cops, a little better armament, and another omnibus crime bill that adds 15 more death-penalty statutes, we can win the war on drugs" -- if a slightly larger percentage of the American population looks at him and goes, "You are so full of shit" ... that would be gratifying.