Israels Militäraktion: Rechtliche Bewertung

Das schöne an einer rechtlichen Bewertung ist, dass man einfach auf die entsprechenden Paragraphen verweisen kann und keine politischen Debatten führen muss. Besonders hilfreich ist das im Fall der nun wohl bestens bekannten israelischen Militäraktion gegen mehrere zivile Schiffe, die nach eigenen Angaben Hilfsgüter in den Gaza-Streifen bringen wollten. Zuvor waren die Hilfsgüter eingehend in der Türkei und auf Zypern überprüft worden. Die Überprüfung war von einem Video-Stream übertragen worden. Man kann und sollte darauf verweisen, dass die Aktivisten das öffentlich erklärte Ziel hatten, die israelische Seeblockade gegen den Gaza-Streifen zu durchbrechen. Natürlich hatte umgekehrt Israel erklärt, die Flotille zu stoppen.

Dieses Ziel wurde zweifelsohne mit der Militäraktion am 31. Mai erreicht. Mit Booten und Hubschraubern näherten sich israelische Soldaten und enterten alle Schiffe des Konvois. Dabei starben 9 Aktivisten, mehrere israelische Soldaten wurden verletzt. Jenseits der moralischen Bewertung:
  • Ist die Blockade gegen den Gaza-Streifen rechtmäßig?
  • Durften die Aktivisten die Blockade durchbrechen?
  • Durfte Israel die Schiffe stoppen? 
  • War das gewählte Vorgehen verhältnismäßig? 
  • Durften sich die Aktivisten gegen den Überfall wehren?
Zuerst ist zu sagen, dass sich die Schiffe zum Zeitpunkt des Überfalls in internationalen Gewässern befanden, also jenseits aller küstennahen Bereiche, in denen die Anrainerstaaten noch irgendwelchen hoheitlichen Befugnisse haben. Das hat auch das israelische Militär bestätigt. Eine solche Aktion kann legal sein, aber nur unter engen Voraussetzungen. Es muss nämlich im Rahmen einer offiziellen Blockade geschehen. Eine Blockade ist eine Kriegshandlung, durch die ein Feind von Nachschub abgeschnitten werden soll. In dem Fall besteht Israel darauf, dass nur durch die Blockade die Hamas daran gehindert werden kann, Raketen auf israelische Siedlungen abzufeuern.Um also eine solche Blockade abzusichern, können Prisenkommandos auch auf hoher See Schiffe anderer Nationen betreten und durchsuchen.

Das gilt aber alles nur, solange sich Israel mit dem Gaza-Streifen in einer militärischen Auseinandersetzung befindet. Problematisch ist, dass man bei anderen Gelegenheiten sich lieber als Besatzungsmacht begreift. Das geht aber nicht zusammen: Man kann nicht Besatzungsmacht sein, wenn der Krieg noch anhält.
Entweder der Konflikt ist beendet, dann ist Israel im Gaza-Streifen Besatzungsmacht und übt dort die Hoheitsrechte aus, hat aber kein Recht zur Seeblockade. Oder der Konflikt dauert noch an, dann ist die Hamas Kriegspartei, und Israel hat das Recht zur Seeblockade - kann sich dann aber auch nicht als Besatzungsmacht gerieren.
Als Besatzungsmacht hat Israel nämlich besondere Pflichten, niedergelegt in der Vierten Genfer Konvention. Genau an dieser Stelle weigert sich Israel jedoch, dem Abkommen Folge zu leisten. Eine Anwendung des Abkommen hätte unter anderem zur Folge, dass die Siedlungen illegal würden - aus gutem Grund verbietet die Konvention die Ansiedelung von "feindlichen" Zivilisten im besetzten Gebiet. Auch wäre es verboten, die Gasvorkommen vor Gaza auszubeuten.

Eine spannende politische Frage ist, warum Israel den Konvoi überhaupt auf offener See angehalten hat. Hätte man einfach gewartet, bis die israelischen Hoheitsgewässer erreicht worden wären, fiele die juristische Argumentation gegen den Angriff viel schwerer.

In jedem Fall war die Durchführung des Einsatz unverhältnismäßig. Selbstverständlich ist Israel nicht das Recht auf Selbstverteidigung abzusprechen. Eine hochgerüstete Armee muss sich jedoch gegen zivile Schiffe und deren Besatzung angemessen verhalten. Es ist die Aufgabe eines Prisenkommandos, auch unübersichtliche Situationen unter Kontrolle zu bekommen. Gelingt ihm das nicht, kann man schlecht den Angegriffenen einen Vorwurf machen. Zumal man gegenwärtig meines Erachtens nicht davon ausgehen kann, dass die Aktivisten vorsätzlich Gewalt gebraucht haben. Dass man auf den Booten außer Eisen- und Holzstangen, Küchenmessern und Sportschleudern keine Waffen gefunden hat, spricht gegen die Absicht einer militärischen Konfrontation.

Ich gehe schon davon aus, dass eine unabhängige Untersuchungskomission die oben aufgeführten Fragen beantworten kann - so in zwei, drei Jahren werden wir wohl die Ergebnisse sehen. Vielleicht werden die Ergebnisse aber noch etwas wirkungsvoller als der Goldstone-Bericht, der der israelischen Armee wie auch der palästinensichen Seite Kriegsverbrechen und möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit währen der Operation "Gegossenes Blei" vorwarf. Bei der Offensive gegen die Hamas waren 1400 Palästinenser und 13 Israelis gestorben.