Ho ho ho und ne Buddel voll Rum

Jack Sparrow wurde zwar noch nicht gesichtet, aber ansonsten hat sich das Seegebiet vor Somalia zum modernen Äquivalent der Karibik gemausert, wie sie europäische und amerikanische Seefahrer besonders im 17. Jahrhundert fürchten mussten. Ganz so witzig ist das also doch nicht, die Sache mit den Piraten. Nichtmal ein Holzbein haben die. Dafür aber die gute alte Kalaschnikow, Raketenwerfer und Schnellboote. Und damit greifen sie Frachter und Kreuzfahrtschiffe an, um für deren Freigabe riesige Lösegelder zu erpressen. Wie konnte es so weit kommen?

Solange sich die Dritte Welt nur gegenseitig die Köpfe einschlägt ist das in der Regel kein Problem für den Westen. Hin und wieder werden durchaus humanitäre Hilfsaktionen unternommen, die zumindest dem ersten Anschein nach nicht primär geopolitischen Interessen dienen. Ein schönes Beispiel dafür ist die Intervention der UN in Somalia im Rahmen der UNOSOM-Mission, die 1992 begann. Ziel war die Sicherstellung von Lebensmittellieferungen an die hungernde Zivilbevölkerung, die - wie üblich - Hauptleidtragende des bis zum Vorjahr andauernden Bürgerkrieges war. Keiner von uns kann sich nur annähernd das Ausmaß von Zerstörung und Chaos vorstellen, in dem die Somalier damals wie heute versuchen müssen zu überleben. Ein Bürgerkrieg dürfte sich von zwischenstaatlichen Kriegen vorrangig darin unterscheiden, dass nicht "nur" die materielle Infrastruktur pulverisiert wird. Viel schlimmer: Die staatliche Autorität selbst geht über den Jordan. Es gibt keine Institution mehr, keine Organisation, die für eine einzelne Person Rechtssicherheit schaffen kann, die Gefahr für Leib und Leben abwendet und als Garant für alle anderen Grundrechte aufzutreten vermag. An eine effiziente Verwaltung und ein funktionierenden Gesundheitssystem ist nicht annähernd zu denken. Und nur in einem sozialen Gebilde, das diese Leistungen vollbringt, können Menschen auch für ihr materielles Wohlergehen selbstständig Sorge tragen.

Eine damit vergleichbare Situation gab es in Deutschland zuletzt während des 30jährigen Krieges. Auch wenn nach dem Zweiten Weltkrieg eben die materielle Infrastruktur in Form von Bahnlinien, Straßen, Häusern, Kanalisation oder Telefonleitungen in Trümmern lag: Es gab nach wie vor die funktionierenden Institutionen. Es ist kein Zufall, dass innerhalb kürzester Zeit Parteien gegründet werden konnten, die bis heute im Wesentlichen Bestand haben und einen enorm erfolgreichen Rahmen bildeten, den Wiederaufbau des Landes mitzuorganisieren und den Zusammenhalt der Bevölkerung zu gewährleisten. Ein Staat wird nach landläufiger Definition von Gebiet, Volk und Staatsgewalt gebildet. Der somalische Bürgerkrieg hatte alle drei Konstituenten ausgelöscht.

Das Fehlen einer Staatsgewalt bedeutet selbstverständlich nicht, dass es nicht verschiedene Organisationen gäbe, die versuchten, die Macht zu erlangen. Das sind in Somalia die Stämme. In dieser zutiefst tribalistisch geprägten Gesellschaft ist die Zugehörigkeit zum Clan alles. Verständlich: Ein Einzelner hat keine Chance. Nur die Unterstützung anderer ermöglicht Überleben. Auf unterster Ebene sind das eben die Verwandten. Die Schattenseite des Clan-Denkens bekamen die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen hautnah zu spüren, die zu Beginn der 1990er in Somalia versuchten, Lebensmittel an Bedürftige zu verteilen. Natürlich strebte jeder Clan danach, soviele dieser Hilfsgüter für sich in Besitz zu bringen wie möglich. Landläufig nennt man das Raub. Aber dieser Begriff ergibt wohl nur in unserer Welt einen Sinn. Unser Besitz wird geschützt durch den Staat, den es in Somalia nicht mehr gab. Dem Mächtigen gehört in dieser Situation alles, dem Hilflosen nichts.

Eine multinationale Truppe sollte nun die Verteilung der Hilfsgüter an die tatsächlich Bedürftigsten sicherstellen (und nebenbei den Frieden im Land wiederherstellen). Das widersprach natürlich den Plänen der Warlords. Was wiederum die USA dazu bewog, den Berüchtigsten unter ihnen, Mohammed Farah Aidid, sowie einige seiner Spießgesellen aus dem Verkehr zu ziehen. Dazu wurde eine eigene Mission aufgestellt, in deren Rahmen US Rangers und die Delta Force diese Männer verhaften sollten.

Wir glauben häufig, uns (wirtschaftlich und militärisch) Unterlegene verfügten nicht über unsere Intelligenz, Lernfähigkeit oder Opferbereitschaft. Diesen Trugschluss bezahlten im Oktober 1993 19 Amerikaner mit ihrem Leben. Eine Kommandoaktion, in deren Rahmen eine Reihe hochrangiger Mitglieder von Aidids Organisation festgenommen werden konnten, endete in einem Blutbad - für die Somalis. Etwa 500 von Aidids Kämpfern (und Verbündeten) kamen im "Battle of the Black Sea" um. Allerdings hatten sie auch zwei Blackhawks abgeschossen und 19 Amerikaner getötet. Zwei der Leichen wurden im Triumphzug durch die Straßen geschleift. Durch Organisation mit einfachsten Mitteln und mit einem massiven Aufgebot von Kämpfern hatte es Aidid geschafft, die scheinbar übermächtigen Amerikaner empfindlich zu treffen. Kein Reporter, kein Kommentator sprach oder schrieb in den folgenden Tagen von einem überwältigenden amerikanischen Sieg, was es nach militärischen Gesichtspunkten war. Im Gegenteil: Die einhellige Meinung war, dass die Somalis den Amerikanern kräftig den Hintern versohlt hätten und es nun wirklich Zeit wäre, nach Hause zu gehen. Genau das hatte Aidid vorausgesehen. Er wusste, welche mediale Wirkung ein verstümmelter GI auf das amerikanische Fernsehpublikum ausübte. Clinton konnte und wollte sich nicht auf das Risiko einlassen, den Somalis die Gelegenheit zu bieten, ein solches Schauspiel ein zweites Mal zu veranstalten und zog die Truppen ab. Ohne Amerika als Hauptakteur der UNOSOM war diese Mission aber zum Scheitern verurteilt. 1995 zogen die letzten Blauhelme ab - Somalia gehörte wieder ganz den Warlords.

Seitdem hat sich der Westen nicht groß um das Land gekümmert. Hin und wieder wurde Giftmüll an seinen Küsten abgeliefert, alternativ konnte man auch die Gewässer leerfischen. Entsprechende Presseberichte tauchen erst jetzt auf, spielen im öffentlichen Diskurs über die Piratenplage aber keine Rolle. Das ist ein weiterer Aspekt des Zerfalls staatlicher Autorität: Wer hätte sich für die kleinen Fischer verwandt, die selbst hunderte Kilometer vor der Küste leere Netze aus dem Wasser zogen, wenn nicht der Staat selbst? Wer hätte dem Treiben der Trawler aus allen Nationen Einhalt geboten, wer hätte die Giftschiffe abgefangen, wenn nicht eine Regierung in Mogadischu? Die gibt es nicht. Also tat es niemand.

Und so wurden Fischer zu Piraten. Sie sahen die Frachter vorbeiziehen, sie hatten Hunger. Sie sahen die Öltanker, und sie hatten Waffen. Das sind ganz sicher zwei der wenigen Dinge, von denen es in ihrem Land im Überfluss gibt. Die ehemaligen Fischer müssen gewusst haben, dass ein Überfall auf ein 145 m langes Schiff mitten auf hoher See ein Selbstmordkommando ist. Piratenüberfälle waren für Frachtschiffer aus aller Welt nichts ganz neues. Seit Jahrzehnten ist die Straße von Malakka immer wieder Ziel von Überfällen. Seeleute wissen, wie man Angreifer mit einem Wasserstrahl zum Aufgeben bringt.

Aber vermutlich hat der jahrzehntelange Bürgerkrieg die Somalis auch zu besseren Kämpfern gemacht. Vielleicht auch zu verzweifelteren. In jedem Fall zu erfolgreichen, gemessen an den Lösegeldsummen und der weltweiten medialen Aufmerksamkeit - die von den Piraten selbstverständlich zu ihrem größten Vorteil genutzt wird. Vielleicht gehört der effektive Umgang mit Massenmedien auch zum Standardrepertoire somalischer Warlords. Die sahen natürlich schnell die geschäftlichen Möglichkeiten der Piraterie und stiegen groß ins Geschäft ein. Sie liefern heute Waffen, Boote, Personal, Ausrüstung ("Wie viele Satellitentelefone dürfen es denn sein?") und logistische Unterstützung. Gegen eine angemessene Profitbeteiligung, versteht sich.

Es ist niemals nur ein einziger Faktor, der zu einem so komplexen Phänomen wie Piraterie führt. In Somalia sind alle wichtigen vorhanden. Und sie werden solange wirksam bleiben, wie sich die Situation im Land selbst nicht ändert. Vielleicht kann sich die internationale Staatengemeinschaft durchringen, das Problem grundsätzlicher anzugehen als mit den zu erwartenden Kommandoaktionen und Luftschlägen gegen Piratennestern. Wahrscheinlich ist das nicht.