Afghanische Albträume

Ich muss zugeben: Bis vor kurzem war ich eher pro Afghanistan-Einsatz. Das hat sich gründlich geändert. Schwer zu sagen warum. Vielleicht weil ich einfach nicht die Artikel gelesen habe, die ich ja rumliegen hatte. Aber am meisten hat mich doch ein Stück aus The Nation beeindruckt. Die Parallelen zu Vietnam sind so unübersehbar wie ein Elefant auf einem Dreirad. Zudem ein häufig vergessener Fakt: Der Krieg am Hindukusch geht ins 9. Jahr, und es ist einfach kein Ende in Sicht.




















William R. Polk geht in seinem Artikel etwas tiefer auf die Eigenheiten der afghanischen Kultur ein, die so anders als unsere ist, dass man sich diese Tatsache immer wieder bewusst machen muss. Es ist so banal: Ehe man irgendein Ziel in Bezug auf Afghanistan festlegen kann, ist es absolut notwendig, überhaupt etwas über die Afghanen zu wissen. Drei wichtige Punkte dazu:

1. Die Mehrzahl der Afghanen lebt in kleinsten Dörfern. Es gibt keine Zentralgewalt. Die Afghanen müssen sich deswegen selbst regieren, sonst tut es nämlich keiner. Es handelt sich eben nicht um einen Nationalstaat westeuropäischer Prägung.
This lack of national cohesion thwarted the Russians during their occupation: they won many military victories, and through their civic action programs they actually won over many of the villages, but they could never find or create an organization with which to make peace. Baldly put, no one could surrender the rest. Thus, over the decade of their involvement, the Russians won almost every battle and occupied at one time or another virtually every inch of the country, but they lost about 15,000 soldiers--and the war. When they gave up and left, the Afghans resumed their traditional way of life.
2. Wiederaufbauprogramme sind eine Art der Kriegsführung. Und das wissen die Afghanen und lehnen Wiederaufbauprogramme mehrheitlich ab. Nur wenn es ein eindeutiges Abzugsdatum gibt, wird es möglich sein, die zivilen Hilfsprogramme glaubwürdig von den militärischen Aktionen abzugrenzen. Und dann werden es die Afghanen auch nicht mehr zulassen, wenn die Taliban das zerstören, was durch Hilfsprogramme aufgebaut wurde: Weil es den Dorfgemeinschaften nützt, ohne sie an das Zentralregime in Kabul oder die ausländischen Besatzer zu ketten.

3. Die Regierung in Kabul ist ein korrupter Haufen, der nur aus strategischer Notwendigkeit gestützt wird. Für vergleichbare Machenschaften würde es in jedem anderen Land UN-Resolutionen hageln. Der Präsident ist ein Wahlfälscher, sein Bruder ein Drogendealer. Am schlimmsten: Die Regierung ist einfach nicht legitimiert. Bei uns funktioniert das über Wahlen. Selbst wenn ich Angela Merkel nicht gewählt habe, erkenne ich sie doch irgendwie als meine Bundeskanzlerin an. Ich (und die aller, allermeisten, die sie ebenfalls nicht gewählt haben) behaupten jedenfalls nicht, sie würde den Posten unrechtmäßig okkupieren. In Afghanistan funktioniert das jedoch mit den Wahlen einfach nicht. An dieser Stelle sollte ein kurzer Blick in die deutsche Geschichte weiterhelfen: Ehe sich in Deutschland dieses Verfahren der Legitimierung etabliert hat, brauchte es zwei Weltkriege. Und weil wir nicht verstanden haben, wie das in Afghanistan läuft, haben wir nur Mist gebaut:
Their way is through a process of achieving consensus that ultimately must be approved by the supreme council of state, the loya jirga. The apex of a pyramid of village, tribal and provincial assemblies, the loya jirga, according to the Constitution, is "the highest manifestation of the will of the people of Afghanistan."

Like the Russians, we have opposed moves to allow Afghanistan to bring about a national consensus. In 2002 nearly two-thirds of the delegates to a loya jirga signed a petition to make the exiled king, Zahir Shah, president of an interim government to give time for Afghans to work out their future. But we had already decided that Hamid Karzai was "our man in Kabul."

Natürlich gäbe es zum Thema Afghanistan noch unendlich viel mehr zu sagen. Da das glücklicher Weise aber schon andere Leute aufgeschrieben haben, genügt eine kurze Linksammlung:
Johann Hari stellt klar, warum Al Quaida bei einem Nato-Abzug keineswegs eine Renaissance erleben wird und damit unsere Sicherheit nicht im Geringsten auf's Spiel gesetzt wird.
Alfred McCoy schreibt über den Drogenkrieg, der aus den Mainstream-Medien weitgehend ausgeblendet wird.
Glenn Greenwald macht auf die Propaganda aufmerksam, die wohl jeden Krieg zwangsläufig begleitet.
Und schließlich kotzt es mich wahnsinnig an, dass bei der Debatte gern vergessen, dass auch für Nato-Soldaten Krieg die Hölle ist. Ich kann Sprüche à la "selbst schuld, haben sich ja freiwillig gemeldet" einfach nicht ertragen. Vielleicht kommt das daher, dass ich mal Grundwehrdienstleistender war und insofern zumindest den Hauch einer Ahnung habe, wie es sich anfühlt, Soldat zu sein. (Kleiner Hinweis am Rand: Die 3 getöteten Bundeswehrsoldaten stammten aus eben dem Bataillon, in dem ich auch einst angehört habe. Hat zwar nichts zu sagen, ist aber trotzdem ein komisches Gefühl.) Die New York Times hat in einem schönen Stück mal aufgeschrieben, wie Kampfpatrouille in einem asymmetrischen Konflikt aussieht.