Oh wie schön ist Israel

Dieser Tage dreht eine kleine, gemeine Geschichte die Runde durch's Netz: Die Zensurmethoden der einzigen Demokratie im Nahen Osten. Nur zu leicht lassen die sich verwechseln mit dem Vorgehen im Iran, Myanmar oder Nordkorea.

Die 23jährige Journalistin Anat Kam (manchmal auch Kamm, wahrscheinlich eine Transkriptionsfrage) hatte während ihres Militärdienstes möglicher Weise brisante Dokumente an die Presse weitergegeben. Die belegen, dass die Armee ein Gerichtsurteil ignoriert, welches gezielte Tötungen nur in wirklich-echt-ganz-doll-außergewöhnlichen Fällen gestattet. Auf Betreiben des Inlandgeheimdienstes Shin Bet ist der israelischen Presse verboten worden, sich in irgendeiner Weise über den Fall zu äußern. Nicht einmal ausländische Medien dürfen zitiert werden. Ebenso wenig dürfen sie selbst, oder ihre Eltern, oder ihre Anwälte zur Sache sprechen.

Und was tut die israelische Presse? Keine leichte Aufgabe:
Two major papers in Israel have tried to find their way around the gag order. Yedioth Ahronoth satirized the media blackout (I'm not sure if the satire was intentional), submitting Judith Miller's report about Kam to the military censor, then publishing a redacted version of the article (see it here). And Haaretz has run an interview with a former Supreme Court Justice, Dalia Dorner, who mocks the order as pointless in the age of the internet. "If the entire world knows about [the Kam affair]," Dorner said, "issuing a gag order is baseless." However, the article does not mention Kam directly or describe the details of her case.
In jedem Fall ist es eine Herausforderung, zu entscheiden, was das Allerschlimmste an der Geschichte ist: Die Tatsache, dass sich ein Gericht mit der Armee gemein macht und im Namen der Nationalen Sicherheit ein Verbot mit folgendem Wortlaut verhängt: "We seek that the gag prohibits publication even about this application for a gag order, its content, and even the existence of a gag order in this case." Wie Richard Silverstein sagt: "This is the rhetorical banality of state security apparatuses the world over. I’d expect verbiage of this sort from the Burmese junta or perhaps Kim Jong Il’s North Korea. But Israel?" Oder doch eher der fehlende Aufschrei über die illegalen Tötungen der israelischen Armee? (Wobei mir auffällt: Illegale Tötungen könnte man ja fast Totschlag nennen.)

Mir scheint die Beobachtung gerechtfertigt, dass Israel seine religiös zelebrierte Sicherheitsfantasien nicht mehr in der der Weise ausleben kann, wie das früher möglich war. Vielleicht, hoffentlich, gibt es heute in der israelischen Gesellschaft keinen so eindeutigen Konsens mehr, dass im Namen der Nationalen Sicherheit alles erlaubt ist (und alles verboten werden kann). Die Gegenreaktion zu dieser erodierenden Orthodoxie scheint jedoch eine zunehmende Bereitschaft einiger staatlicher Instiutionen, sich zur Not illegaler Maßnahmen zu bedienen, um sich selbst oder ihre Vision einer sicheren Gesellschaft zu schützen. Mit anderen Worten: Auf dem Altar der Nationalen Sicherheit wird die Demokratie geopfert.

Eine kleine Meta-Frage noch an Spiegel Online: Hübsche Geschichte habt ihr da zusammengeschrieben, sogar von einer Journalistin in Beirut. Aber warum zum Henker habt ihr auch keine besseren Quellen als ich vor meinem Laptop (Daily Beast, HuffPost)? Und früher als die anderen wart ihr auch nicht. Ok, früher als die deutschsprachigen Medien. Aber das zählt ja nun wirklich nicht. AP hatte die Story am 2. April, Le Monde am 3. April. Und übrigens: Wenn ihr es mal schaffen würdet, Google News zu benutzen, wäre euch vielleicht aufgefallen, dass das Publikationsverbot wohl demnächst aufgehoben wird.